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Dunkelblum von Eva Menasse

Dunkelblum von Eva Menasse

Eva Menasse wurde 1970 in Wien geboren und lebt seit über 20 Jahren in Berlin. Ihr Bücher und Erzählungen wurden mit diversen Preisen ausgezeichnet, z.B. dem österreichischen Buchpreis, dem Heinrich-Böll-Preis und dem Friedrich-Hölderlin-Preis. In ihrem Buch „Dunkelblum“ erschafft sie eine Welt, die sehr real erscheint und schwer auszuhalten ist. Ein Buch, in dem gleichzeitig alles und nichts geschieht – immer unter dem Schatten der Vergangenheit.


Liebe Eva,

Dunkelblum hat mich zugleich fasziniert und gequält. Mehr als einmal habe ich darüber nachgedacht, das Buch abzubrechen. Im Endeffekt bin ich jedoch froh, es zu Ende gelesen zu haben.

Bei Dunkelblum handelt es sich um ein Dorf im Burgenland Österreichs, direkt an der ungarischen Grenze. Die Geschichte spielt um 1989, zu der Zeit, als der Eiserne Vorhang zu bröckeln beginnt. Über das gesamte Buch werden immer wieder Rückblicke in die Vergangenheit eingebaut, die über die Nachkriegszeit bis zur Zeit des zweiten Weltkriegs reichen – eine Mehrgenerationengeschichte also. Was mit der Beschreibung der ländlichen Strukturen, der komplexen Beziehungsgeflechte der Dorfbewohner*innen untereinander und dem typischen „Getratsche“ auf dem Dorf beginnt, entpuppt sich bald als eine bedrückende Geschichte über die Verbrechen des zweiten Weltkriegs und das darüber immer noch anhaltende Schweigen der Dorfbewohner*innen. Da ich auf einem E-Book lese, habe ich viel zu spät das angehängte Personenverzeichnis entdeckt. Auch eine Karte Dunkelblums befindet sich im Buch. Beides ist sehr hilfreich, um die Geschichte schneller und besser zu verstehen!

Der scheinbar herrschende Dorffrieden Dunkelblums wird durch verschiedene Auslöser gestört: Von einen auf den anderen Tag jäten Studierende im Lichte der Erinnerung Unkraut auf dem verkommenen jüdischen Friedhof Dunkelblums (unter den Bewohner*innen nur „der dritte Friedhof“ genannt), der amerikanische Tourist Dr. Gellert stellt Nachforschungen zu seiner Herkunftsgeschichte und einem damaligen Naziverbrechen an und eine Leiche wird gefunden. Als auch noch eine junge Frau verschwindet, die Dr. Gellert bei seinen Nachforschungen unterstützt, muss zum ersten Mal seit langer Zeit das Schweigen über die damalige Zeit gebrochen werden.

Der gesamte Roman setzt sich aus vielen kleinen einzelnen Geschichten der Dorfbewohner*innen und ihren Beziehungen zueinander zusammen. Oberflächlich handeln sie vom alltäglichen Leben in Dunkelblum. In diese kleinen Geschichten werden jedoch immer wieder Schnipsel eingebaut, aus denen sich die Leser*innen zusammenbasteln können, was in der Vergangenheit geschehen ist.Schnell wird klar, dass viele Familien Dunkelblums in die damaligen Verbrechen verstrickt sind – doch niemand will etwas davon gewusst haben. Teilweise ist diese Unkenntnis vorgetäuscht, teilweise entspringt sie aber auch dem allgemeinen historischen und politischen Desinteresse der meisten Bewohner*innen. Die Suche nach der Wahrheit war für mich sehr mühsam. Das liegt nicht nur an den vor allem zu Beginn des Buches schwer zu durchblickenden komplexen Beziehungsgeflechten, sondern auch an der fehlenden Weltoffenheit der meisten Bewohner*innen. Es ist niederdrückend, dass man im Laufe der Geschichte mehr über die Verbrechen zu wissen scheint als die Dunkelblumer*innen selbst, die die damaligen Verbrechen zum großen Teil zwar selbst miterlebt haben, jedoch immer noch gekonnt die Augen davor verschließen und sich weigern, sich damit auseinanderzusetzen.

Und der Vater seines Freundes hatte einmal zu ihnen beiden gesagt, die Dunkelblumer würden alle miteinander nur Märchen erzählen, da sei nichts dran, alles sei genauestens und sogar mehrmals untersucht worden. Von den Russen und auch von den Beamten aus Wien. Nichts dran, Schwamm drüber, und jetzt, Burschen, vergessts das Ganze ein für alle Mal!

S. 261

So bleiben viele der damaligen Naziverbrechen ungestraft, das Auffinden eines jüdischen Massengrabs gestaltet sich als nahezu unmöglich und Ferbenz, ehemaliger Gauleiter der Steiermark, lebt weiterhin als angesehener Bürger in Dunkelblum. Als ein Interview mit ihm viral geht, in dem er sich als glühender Bewunderer Hitlers outet, werden seine Worte von den Dunkelblumer*innen als „ungeschickte Formulierungen“ verharmlost. Die Hakenkreuzbeschmierungen auf dem jüdischen Friedhof werden als Einzelfall abgetan und Antisemitismus und Ausländerfeindlichkeit bleiben tief in den Köpfen verankert.

Liebe Eva, danke, dass du dieses Buch geschrieben hast. Auch wenn sich das Lesen für mich teilweise eher nach Arbeit als Vergnügen angefühlt hat, würde ich das Buch trotzdem empfehlen. Durch den Schreibstil und den authentisch eingebauten österreichischen Dialekt erschaffst du ein Bild, das sehr nah an der Realität scheint. Es ist ernüchternd, sich das Leben dort vorzustellen und hat vor allem mir mal wieder gezeigt, dass ich mich nur allzu oft in einer Blase befinde, in der solche Meinungen keinen Platz haben. Doch gesamtgesellschaftlich werden rechte Einstellungen wieder salonfähiger. Um diesen entschieden entgegenzutreten, ist eine Aufarbeitung der Geschehnisse des zweiten Weltkriegs unerlässlich – auch in den Dunkelblums dieser Welt.

Magda


Das war mein Review des Buches „Dunkelblum“ von Eva Menasse. Für die neuesten Updates, weitere Rezensionen und Buchempfehlungen folgt mir gern auf Instagram.

1 Response

  1. Ja, natürlich ist es quälend sich durch diese Welt der Verdrängung zu arbeiten, so ist es ja auch gedacht. In deiner Rezension gehst du allerdings nicht auf den durchgängigen (mitunter bösen) Humor der Autorin ein, der die Lektüre zu einem großen Vergnügen macht. Zu diesem Vergnügen trägt auch wunderbar hinterhältige Kunstsprache bei, die Eva Menasse für die Dorfbewohner geschaffen hat.

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